Dienstag, 25. April 2017

DoppelRezension zu Die Getriebenen + Das Migrationsproblem

Es ersetzt fast einen Untersuchungsausschuss und liest sich wie ein Politkrimi ganz besonderer Art: Robin Alexanders Getriebene. Famose Details, gut erzählt, chronologisch sortiert. Nur bewerten muss der Leser - also genau aus dem Holz, wie ich mir Lektüre wünsche.



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Ich reibe mir von der Sache her bis heute noch die Augen, weil die eigene Tochter ihren ersten selbst gebuchten Jahresurlaub in Tunesien verbringen wird, während die Bundesregierung Reisewarnungen ausspricht, und der beste Freund von allen sowie eine weitere Clique aus der Schweiz als Touristen für Wochen quer durch Marokko pilgern. Wenn dann der andere unerreichbar ist... Das sind Gefühlsduschen, die ich keinem wirklich wünsche. Aber die Grünen bleiben dabei: Der Mahgreb ist sicher, während fröhlich nach Afghanistan abgeschoben werden darf. Äh, wo steht noch einmal die Bundeswehr auch nach Ende des ISAF-Einsatzes?

Alexander beschreibt 180 Tage deutscher Flüchtlingskrise, die uns als humanitärer Akt deutscher Asylpolitik verkauft wird, die aber inhaltlich nichts anderes ist, als das Ergebnis taktierenden Handelns sowie parteiübergreifender Weigerung, politische Verantwortung zu übernehmen: Eine Kanzlerin in Präsidialfunktion, die - wie so oft - abwartet, am Ende nichts konkret entscheidet, aber anschließend die selbst mitverantwortete Eskalation der Krise, als Hunderttausende unkontrolliert ins Land kommen, als eine Art alternativlosen Schicksalsschlag unserer Zeit verkauft. Denn als Geozentrum Europas könne Deutschland seine Grenzen ohnehin nicht hundertprozentig dicht machen.

Wir kennen wirklich nur das Grobe, wie zur Vermeidung unschöner Bilder die Zauderer von Oz ihr Versagen alternativlos auf die Bundesländer und Gemeinden umdelegieren. Haken: viele EU-Staaten lassen sich von der Entscheidung der Times, Miss Merkel zur Frau des Jahres zu nominieren, nicht mehr blenden. Sie lassen sich auch nicht mehr wie beim ESM erneut instrumentalisieren. Dafür ist die importierte Unsicherheit zu groß. Sie steigen eher aus dem Konstrukt EU aus.

Am Ende bleibt bei Alexander der Einklang mit dem Establishment, den einen Whistleblower nun gerade nicht wirklich auszeichnet. Wo bleibt ein Verweis auf den Vertrag von Bologna von 1995, die pastoralen Sonntagsreden in Sachen "Weltoffenheit" von Joachim Gauck, das Resettlementprogramm der UNO, welches aus Flüchtlingen demografisch benötigte Zuwanderer werden lässt, das Gegen die Inzucht Europas von Schäuble, das wertvoller als Gold von Schulz? Ja, am Ende sind sie das! Denn alleine im Jahr 2016 haben 40 Milliarden Euro ihren Besitzer gewechselt. Besitzer, die ansonsten warten... auf Sanierungen, Erhöhungen auf den Bezug selbst erarbeiteter Beiträge, freundlichere Familien- und Steuerpolitik statt Diätenerhöhung. So sind die hässlichen Bilder einwandernder Menschenströme nicht vor einer geschlossenen Grenze entstanden, sondern sie entstehen jetzt tagtäglich da, wo kein Journalist mit der Kamera lauert: in unseren Städten und Gemeinden zu unabgesprochener Zeit. Claudia Roths berühmt berüchtigte klitzekleinen Einzelfällchen. Wenn die Kriminalität in einer auf 2% eines auszumachenden Teils der Bevölkerung binnen eines Jahres um 52,7% ansteigt, komme als Deutscher niemals auf die politisch unkorrekte Idee, diese Gruppierungen öffentlich beim Namen zu nennen. An der Stelle wird es dann ganz schnell unschön. Wären unsere Politiker nicht nur an der Pflege ihrer Selbstbilder interessiert, so ließe auch dies sich wunderbar diskutieren: Der im September 2016 verstorbene Historiker Rolf Peter Sieferle beschreibt in seiner letzten Studie "Das Migrationsproblem: Über die Unvereinbarkeit von Sozialstaat und Masseneinwanderung" sehr klar, wie der Einbruch der Wirklichkeit mit bundesrepublikanischen Wohlfahrtsideen und One-World-Phantasien quittiert wird: Wohlstand für alle, Grenzen für niemand. Dabei übersehen wird man die Fragilität eines Gemeinwesens, das durch den Sozialstaat getragen wird. Es fußt auf Solidarität und Vertrauen Werte, die in einem Land mit ungeregelter Einwanderung gefährdet sind. Der Sozialstaat und seine Segnungen lassen sich nicht ins Unendliche expandieren. Denn im Globalisierungsstrudel, in dem die Ansprüche universal werden und jeder Ort erreichbar scheint, wird das Wohlfahrtsversprechen zu einem Anachronismus, dessen Verheißungen für die meisten Migranten uneinlösbar sind. Das dumme ist nur: Unsere
Politiker wissen das. Aber sie haften nicht. Und es interessiert sie auch nicht, denn einzig und allein ihr eigenes Auskommen mit dem Einkommen ist in diesem Staatssystem von ihnen selbst abgesichert. Deswegen ist der Rest reiner Populismus, denn von einer Politik, die diesen Anachronismus bewältigt, entfernen sie sich jeden Tag ein Stück mehr. Und du? Du zahlst - immer. Das ist freiheitlich demokratisch per Gesetz so geregelt. :-)

"Es wird irgendwann deutlich werden, daß eine Welt von "no borders, no nations" zugleich auch eine Welt von "no welfare" sein muss." (26 f.). Die Empirie bestätigt Sieferle voll und ganz. Sind es doch gerade die klassischen Einwandererstaaten – USA, Kanada, Australien -, die die staatliche Versorgung derart auf ein Minimum reduzieren, dass die regelmäßigen Empörungsstürme von Seiten der Linken unüberhörbar sind. Die genannten Länder haben nicht nur genau deswegen eine völlig andere Lohnstruktur, sondern sie beschränken die Einwanderung zusätzlich auf Menschen, "die der einheimischen Gesellschaft ökonomisch zum Nutzen gereichen, die nicht integriert werden müssen und die schon einmal gar nicht verlangen, dass sich die autochthone Bevölkerung an ihre Sitten anzupassen hat (vgl. S. 28f)".

Als Positionierung gegen rechten Populismus gab Merkel auf der CDU-Landesvertreterversammlung in Mecklenburg-Vorpommern am 26.02.2017 die populistische Parole aus:
Das Volk ist jeder, der in diesem Lande lebt

Aber hoppla! "Der Rechtsstaat beruht als (demokratisch verfasster) Nationalstaat auf der
Unterscheidung zwischen Bürgern und Nicht-Bürgern. Gibt er diese Unterscheidung auf, verwandelt er sich vom Rechtsstaat nicht unbedingt (wie manche Phantasten hoffen) in ein individualistisches Freiheitsparadies, sondern in eine von multitribalen Warlords beherrschte Kampfzone" (S. 124). Dass sich ausgerechnet unsere "Wir schaffen das!"-Kanzlerin in aller Öffentlichkeit an die Spitze dieser „Phantasten“ setzt, hat Sieferle nicht mehr persönlich erlebt, es wohl aber beim Verfassen seines Werkes bereits erahnt. Damit hat zumindest Merkel es geschafft, in fraudem legis den Rechtssatz 'Pacta sunt servanda' vollständig ins Leere laufen zu lassen und verwandelt mit ihrer Regierung den ohnehin schon völlig sinnfrei (bei bis zu 80seitigen Antragsformularen mit bis zu 200seitigen Bescheiden ist es nicht mehr anders zu bezeichnen) überregulierten Sozialstaat in einen gewinnorientierten
Ordnungsstaat, in dem beispielsweise Kriege bloße Konfliktkatastrophen sind, die es durch geschicktes Konfliktmanagement zu verhindern gilt, und die Ordnung durch selbsterzeugte Zwänge stets neu erfunden wird, während die kulturell bindende Norm fehlt.

Schon Bismarck hat es gewusst. Wie die deutschen Völker 1918 ihre mit dem BGB 1900 gerade neu gewonnene Freiheit der verfassungsgemäßen Volkssouveränität unter einer konstitutierten Monarchie mit Parlamentsunterstützung weder zu schätzen noch gegen das Proletariat zu verteidigen gewusst haben, so wird 100 Jahre später ein völlig neuer Konfliktkessel entstehen. Die Folgen derart struktureller Zersetzung sind in der Geschichte gleich mehrfach bekannt und die Deutschen, die nun alles andere, nur nicht Deutsche sein wollen, werden dem in einer politisch abgeduckten Masse nichts entgegensetzen. Damit werden sie gesinnungsethisch zwangsläufig als das totalitäre Volk aus dem Herzen Europas in die Weltgeschichte eingehen. Wenn Wirtschaft und Parteien gemeinsam plündern gehen, dann nützt der beste Generationenvertrag nichts; schon gar nicht, wenn aufgrund kollektiver Lethargie niemand da ist, der diese Verträge verteidigt.

Natürlich, du lebst hier frei nach Beck 1986 auf hohem Niveau in einer von ihm so formulierten Risikogesellschaft: Du kannst dich gegen alles versichern, nur nicht gegen einen von Parteien gegen deinen persönlichen Willen auf deine Kosten durchgesetzten Neoliberalismus. .

Siefert in seinem zuvor erschienenen Rundumschlag "Finis Germania" dazu:
"Die Politiker bilden nur noch den Scheitelkamm großer Wanderdünen, die von Elementarkräften bewegt werden."


Robin Alexander, geboren 1975, hat sich als politischer Berichterstatter, Reporter und Kolumnist im politischen Berlin einen Namen gemacht. Er war Redakteur bei der taz und Reporter bei „Vanity Fair“, bevor er 2008 zur Welt-Gruppe wechselte. 2013 wurde er mit dem renommierten Theodor-Wolff-Preis ausgezeichnet. Er ist regelmäßig im ARD-Presseclub und im ZDF-Morgenmagazin zu Gast und war im Bundestagswahlkampf 2013 Experte und Co-Moderator von Stefan Raab in der Wahlsendung „Absolute Mehrheit“ auf Pro7. 2007 erschien "Familie für Einsteiger" (Rowohlt Berlin). Robin Alexander lebt mit seiner Frau und drei Kindern in Berlin.


Rolf Peter Sieferle (* 5. August 1949 in Stuttgart; † 17. September 2016 in Heidelberg) studierte Geschichte, Politikwissenschaft und Soziologie an den Universitäten Heidelberg und Konstanz und lehrte ab 1991 in Mannheim. Seit 2005 war er ordentlicher Professor für Allgemeine Geschichte an der Universität St. Gallen. Sein Fachgebiet war die Naturgeschichte der menschlichen Gesellschaften, deren Eigenarten und Funktionsweisen Sieferle aus der jeweiligen Energiewirtschaft ableitete. Zu seinen Hauptwerken zählen Epochenwechsel (1994) und die universalhistorische Bilanz Rückblick auf die Natur (1997). Sein 1982 erschienenes Werk "Der unterirdische Wald" gilt bis heute als Standardwerk zur Durchsetzung des Energieträgers Steinkohle. 2010 verfasste Sieferle für den »Wissenschaftlichen Beirat Globale Umweltveränderungen« der Bundesregierung die Abhandlung Lehren aus der Vergangenheit. 2017 beginnt die Herausgabe seiner gesammelten Werke im Manuscriptum Verlag.

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